Freitag, 24. Februar 2012

Interview mit Klara Obermüller über Frauen und das Älterwerden

Yvonne-Denise Köchli: Was hast du gedacht, als du gehört hast, dass ich einen Blog gestartet habe mit dem Titel "Frauen über 50, die das Leben noch vor sich haben"?

Klara Obermüller: Gut, habe ich gedacht, vor allem, weil der Satz provoziert. Stimmt es wirklich, dass Frauen über 50 das Leben noch vor sich haben? Haben nur sie selber dieses Gefühl? Oder sehen es die Andern, sprich die jüngeren Frauen und Männer, auch so? Ich hatte damals, als ich die magische Grenze von 50 überschritt, nicht unbedingt das Gefühl, das Leben noch vor mir zu haben. Eher im Gegenteil: Ich fühlte mich ausgelaugt und abgeschlagen und fragte mich,ob nicht das Beste schon hinter mir liege. Das änderte sich dann allerdings schlagartig, als ich mich beruflich noch einmal neu orientierte und spürte, dass ich wieder eine Perspektive hatte. Man sollte mit über 50 also unbedingt darauf achten, dass man nicht in Routine verfällt, sondern sich nach etwas Neuem umschauen: eine neue Stelle, etwas Neues lernen, sich neu verlieben – was immer Sie wollen. Nur neu sollte es sein.

Früher hat man Frauen über 50 gesagt, sie seien nun unsichtbar. Heute gibt es aber ganz viele Frauen über 50, die alles andere als unsichtbar sind. Hat sich das Bild der reifen Frau in der Gesellschaft geändert?

Ich glaube, das Bild hat sich nicht grundsätzlich geändert; es hat sich nur verschoben. Eine Frau mit 70 ist heute etwa das, was früher eine Frau mit 50 war. Das entspricht der demographischen Entwicklung und der gestiegenen Lebenserwartung. Aber machen wir uns nichts vor: Irgendwann ist der Zeitpunkt dann eben doch da, wo Frau das Gefühl bekommt, unsichtbar zu sein. Da kann man sich noch so attraktiv und unternehmungslustig fühlen – für die Andern, die Jüngeren, ist man einfach eine alte Frau. Man interessiert als Mensch, aber nicht mehr als Frau. Die Ursachen mögen biologischer Natur sein, schwer zu ertragen ist der Zustand gleichwohl. Denn gefühltes und effektives Alter klaffen nie weiter auseinander, als wenn Frau in die Jahre kommt. Und auch die Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern ist nie grösser. Was Männern grosszügig und manchmal sogar mit einer gewissen Bewunderung zugestanden wird, die junge Geliebte, die neue berufliche Herausforderung, müssen Frauen sich erst noch mühsam erkämpfen.

Und wie sieht es in der Wirtschaft aus? In Deutschland wird das Rentenalter seit Jahresbeginn schrittweise auf 67 angehoben. Siehst du heute eine grössere Bereitschaft, ältere Menschen, Frauen wie Männer, noch zu beschäftigen oder neu einzustellen?

Nein, die sehe ich im Moment noch nicht – weder in der Politik noch bei den Unternehmen noch gar bei den Beschäftigten selbst. Es gibt zwar vorausschauende Wirtschaftsfachleute, die die Notwendigkeit einer Erhöhung des Rentenalters erkannt haben. Aber es muss sich noch vieles – vor allem unsere Einstellung gegenüber der Arbeit – ändern, bevor sie auch konkret umgesetzt werden kann.

Wie unterscheidet sich das Altern der Männer vom Altern der Frauen?

Es sind vor allem zwei Phänomene, die den Unterschied ausmachen: die körperliche Wahrnehmung und die allgemeine Wertschätzung. Man braucht sich nur in der Politik umzuschauen und wird feststellen, dass es hier überall ältere bis alte Männer gibt, die hohe Ämter bekleiden und für ihre Lebenserfahrung geschätzt werden. Helmut Schmidt und Joachim Gauck sind nur zwei Beispiele für viele. Alter wird hier nicht mit Defiziten gleichgesetzt, sondern Alter bedeutet bei diesen Männern Erfahrungswissen und hohe Glaubwürdigkeit. Ähnlich verhält es sich auch mit jenen älteren Herren, die sich spät noch einmal an eine jüngere Frau binden und Kinder zeugen. Das spricht für Vitalität, für Potenz und wird bewundert, ohne zu fragen, was aus den jungen Frauen einmal wird und aus den spät – zu spät? – gezeugten Kindern. Von solcher Wertschätzung sind gleichaltrige Frauen noch immer weit entfernt. Nicht nur, dass wir halt mit über 50 keine Kinder mehr bekommen können, wir gelten auch generell nicht mehr als sonderlich attraktiv. Ich habe den Verdacht, dass Frauen viel stärker über ihr Äusseres definiert werden als Männer und deshalb die vielgerühmten inneren Werte bei Frauen weniger ins Gewicht fallen als bei Männern. Ein Stück weit liegt es allerdings vielleicht auch an den Frauen selbst: daran, dass sie weniger selbstbewusst auftreten als gleichaltrige Männer. Möglich, dass sich das ändert, wenn einmal die Generation der gut ausgebildeten, selbständigen und unabhängigen Frauen in die Jahre kommt. Einstweilen fallen mir nur ein paar wenige Beispiele bedeutender alter Frauen ein: Golda Meir gehört dazu, Hildegard Hamm-Brücher, Marion Gräfin Dönhoff oder unter den Künstlerinnen Louise Bourgeois.

Der „Tages-Anzeiger“ hat kürzlich darüber berichtet, dass es die meisten Scheidungen inzwischen bei den 50-60Jährigen gibt – und die Initiative grossmehrheitlich von den Frauen ausgeht. Hat das damit zu tun, dass es heute für Frauen viel mehr akzeptierte Lebensformen gibt, dass sie ökonomisch unabhängiger sind und die meisten über ein grosses Freundinnennetzwerk verfügen, weshalb Einsamkeit gar kein Thema ist?

Ja, ich denke, dass das sehr viel mit materieller Unabhängigkeit zu tun hat – und auch damit, dass eine geschiedene Frau heute nicht mehr die Ächtung erfährt wie früher. Ich glaube aber auch, dass viele Frauen flexibler bleiben als ihre Männer und dass sie vom Leben noch etwas erwarten. Wenn er dann da halt nicht mehr Schritt halten kann, lässt man sich eben scheiden. Und die sozialen Netzwerke sind bei den meisten Frauen ohnehin besser entwickelt als bei Männern. Darüber hinaus sind wir selbstständiger und haben längst gelernt, neben dem Beruf auch noch den Haushalt zu schmeissen. Männer sind da hilfloser und scheuen aus Angst und Bequemlichkeit vielleicht eher vor einer späten Scheidung zurück als die Frauen. In der Mitte des Lebens mag das anders sein: Wenn die Midlife crisis ausbricht und die Triebe noch einmal ausschiessen, sind viele Männer bekanntlich ja nicht mehr zu halten. Dann haben Frauen das Nachsehen. Später kehren die Verhältnisse sich zu Gunsten der Frauen um. Ob das Leben nach einer solchen Scheidung allerdings wirklich so viel besser wird, bleibt von Fall zu Fall abzuklären. Die Vertrautheit einer langen Beziehung hat auch ihr Gutes und sollte nicht mutwillig aufs Spiel gesetzt werden.

In Deutschland gibt es ein Buch von Joachim Fuchsberger mit dem Titel „Altwerden ist nichts für Feiglinge“. Es hält sich seit Monaten auf der Bestsellerliste. Wie erklärst du dir diesen Erfolg?

Sorry, dazu kann ich noch nichts sagen, da ich das Buch noch nicht gelesen habe. Aber den Titel finde ich super und sehr ehrlich. Es gibt noch einen anderen Spruch, der mir gefällt. Er stammt vom italienischen Philosophen Norberto Bobbio und lautet: „Wer das Alter preist, hat ihm noch nichts ins Gesicht geschaut.“ Das geht in eine ähnliche Richtung wie Fuchsberger oder auch wie Philip Roth, der das Alter als „Massaker“ bezeichnet hat. Man muss dabei allerdings zwischen dem sog. jungen Alter und er eigentlichen Hochaltrigkeit unterscheiden. Zwischen Menschen über 50 und Menschen über 80 liegen heutzutage in der Regel Welten, das sollte man nie vergessen.

Was für eine Bedeutung hat der Sex im Alter?

Das ist wohl individuell sehr verschieden und, da es sich um eines der letzten Tabus unserer Gesellschaft handelt, auch sehr schwer eruierbar. Körperlich gesehen, mögen die Bedüfrnisse ja schwinden, im Kopf jedoch hört Sex sicher nie auf, die wichtigste Nebensache der Welt zu sein.

Was ist das Gute am Älterwerden? Was ist das Leidige am Älterwerden?

Zu den positiven Seiten des Älterwerdens gehört sicher, dass man sich langsam von unnötigen Verpflichtungen, Rücksichtnahmen und Zwängen befreien kann. Negativ hingegen fällt ins Gewicht, dass Einschränkungen auftreten und Optionen wegfallen. Auch für diejenigen, die gesund altern, wird der Radius enger. Vieles ist zwar noch möglich, aber längst nicht mehr alles. Den radikale Neuanfang, der einst so verlockend am Horizont stand, gibt es ab einem gewissen Alter nicht mehr. Deshalb würde ich hinter die Behauptung, Frauen über 50 hätten das Leben noch vor sich, auch ein kleines Fragezeichen setzen. Damit will ich nicht der Resignation oder gar dem Verzicht das Wort reden, sondern einfach realistisch sein und sagen: Zu einem guten Alter gehört auch, dass wir unsere Grenzen sehen und uns über viele kleine Abschiede auf den einen grossen Abschied am Endeunserer Lebens vorbereiten.

In deinem Buch „Ruhestand – nein danke!“ schilderst du deine Anfangsschwierigkeiten nach der Pensionierung. Wie geht es dir heute?

Den Pensionierungsschock habe ich zweifellos überwunden – nicht zuletzt dank der Arbeit an diesem Buch, das mir half, mir über mich selbst klarer zu werden. Ich habe seither nicht aufgehört zu arbeiten, aber ich arbeite bewusster, wähle aus und gönne mir auch mal Freiheiten, die früher nicht drin lagen. Was mir weiterhin fehlt, ist die aktive Partizipation: das Mitgestalten und Mitbestimmen. Ich weiss aber auch, dass dieses allmähliche Zurücktreten und die Trauer, die damit verbunden ist, zum Älterwerden dazu gehören. Und ich weiss auch bzw. habe es erfahren, dass es einen grossen Unterschied macht, ob man eine Frau über 50 oder, wie ich, eine Frau über 70 ist. Da, liebe alte Frauen, sollten wir uns nichts vormachen!

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